Montag, 3. Februar 2014

Warum mein Herkunftsland nicht als Heimat taugt…




Als ich heute früh aus meinem Fenster nach draußen in das fahle Licht des aufwachenden Tages schaute, sah ich wie stets an jedem anderen Morgen ein emsiges Treiben. Ich sah fahrende Autos, ich sah die Züge der Eisenbahn, die Schiffe auf dem Fluss Rhein vor mir und, wie Ameisen gleich, viele Menschen auf ihrem Weg in den Alltag…

Die Straße und die Grünflächen vor meinem Fenster wirkten wie frisch gewaschen, der Kehrwagen hatte noch vor der Dämmerung den noch nass glänzenden Asphalt geputzt, die Stadtreinigung Mülleimer geleert und achtlos weggeworfenes Papier und Unrat aufgesammelt – alles wirkte frisch und adrett. Man spürt und sieht die allseitige Bemühung um Ordnung und Sauberkeit und man fühlt sich wohl und umsorgt dabei. Es tut gut.

Beim Verweilen am Fenster schweiften meine Gedanken hin zu einem anderen Land, zu einem Land, in dem jetzt genau wie hier heute auch viele Menschen ihren Weg in ihren Alltag angetreten hatten.

Aber, was ist hier anders als dort – was bedrückt mein gerade noch so heiteres und unbeschwertes Gemüt an diesem unschuldigen Morgen?

So gut wie nie habe ich die Menschen hier, die ich jeden Tag treffe und mit denen ich zu tun habe, von „Heimatliebe“ reden hören. Und das, obwohl gerade hier die Allgemeinheit so auf das Wohlergehen dieses Deutschlands so achtet und sich um das Bewahren des Geschaffenen so bemüht wie kaum wo anders.

Aber in dem anderen Land, in dem meine Wiege stand, wird „Heimatliebe“ in den fettesten Buchstaben groß geschrieben. Man lernt dort bereits mit dem Laufen- und Sprechenlernen im Elternhaus und in der Schule, dass die Menschen in diesem jenen Land die Ehrenvollsten aller auf dieser unserer Erde waren und sind.

Es wird einem ohne Unterlass und zu jeder Gelegenheit eingetrichtert, dass die Menschen in diesem Land Angehörige eines stolzen Volkes seien; es wird einem bei jeder sich bietenden Gelegenheit beigebracht, dass Heimat das Wichtigste sei und wir mussten von Kindesbeinen an immer versprechen, dass wir „unsere Heimat lieben“. Ganz besonderen Beifall und Zuspruch bekamen wir von den Erwachsenen, wenn wir den Begriff „afghanischer Stolz“ nachplapperten – afghanischer Stolz, ein Begriff, mit dem ich bis heute nichts anfangen kann!

Wird doch dort, in diesem anderen Land, „Heimatliebe“ durch stereotypes Wiederholen dieses Wortes fast gänzlich nur verbal praktiziert – dabei elementare und vitale Bereiche wie Wohlfahrt für alle, Bildung, Sauberkeit, Hygiene, Bewahrung des Schönen und des Guten, Schutz der Natur, Ordnung, Gemeinsinn und Sicherheit sträflichst vernachlässigend. 

Hier, in meiner jetzigen Heimat, muss man sich schon sehr, sehr lange umhören, um überhaupt jemanden von „Ehre“ sprechen zu hören. Auch habe ich noch nie vernommen, dass hier gesagt wird, dass man durch seine Angehörigkeit zu diesem Land ehrenvoll sei. Was man hier aber überall und ständig spürt, ist ein sehr ausgeprägtes Schamgefühl – hier gilt es als unanständig auf Kosten Anderer und vor allem zu Lasten der Gemeinheit zu leben und sein und das Leben aller Nachfahren darauf zu bauen. Ein solch parasitäres Verhalten wird mit großer Verachtung als Schmarotzertum bezeichnet und nirgendwo akzeptiert.

Das andere Land hingegen, in dem Ehre so riesig groß geschrieben wird und von Ehre dort unablässig geredet wird, lässt sich seit ewigen Zeiten von den durch das dortige Volk auf goldenen Stühlen inthronisierten Schmarotzern leiten und führen – das Land, in dem es das Selbstverständlichste der Welt ist, zu betrügen, zu tricksen und zu hintergehen. In dem man nur an sich selbst denkt und in dem der Begriff „Gemeinwohl“ inhaltslos und für diese Ungebildeten und der Zivilisation abseits Stehenden ein Fremdwort ist.

Die Führer in diesem Land, bar jeglicher Kultur und aufgewachsen außerhalb der Zivilisation, betiteln sich selbst in ihrer tumben, archaischen und infantilen Selbstherrlichkeit dann als LÖWEN. Dabei aber weniger die diesem Tier zweifelsohne innehabenden geistigen Fähigkeiten zu gebrauchen als stattdessen die zerfleischende Kraft deren Zähne und Krallen anzuwenden, mit denen sie dann auf viehischste Art alle die zerreißen, die nicht zu ihnen gehören. Ein prähistorisches Gebaren in der Moderne des 21. Jahrhunderts - eine Perversion der Menschengeschichte, eine Umkehrung der Evolution.

Oh lieber Gott, zwischen meinem Geburtsland und meiner jetzigen Heimat ist so eine große Entfernung, liegt solch eine große Distanz. Und doch bin ich in beiden Ländern sehr verwurzelt und habe so große, innige Gefühle für dort und für hier.

Dort wird das Land meiner Geburt von greisen Löwen geführt, die vom Fleisch und vom Blut seiner Menschen leben ohne für ihr Leben nur den geringsten Beitrag geleistet zu haben. Es ist die Heimat meiner Vorfahren.

Hier hingegen regieren die Menschlichkeit, die Fürsorge, das Streben für das Gemeinwohl und die gegenseitige Achtung untereinander. Das Intellektuelle und eine zivilisierte Menschlichkeit statt einer Löwenmähne bestimmen hier Handlung und das Miteinander. Dieses gelebte Vorbild ist das wichtigste Erbe für meine Kinder und Kindeskinder und es ist für mich meine mir wertvoll gewordene Heimat. Ich liebe diese Heimat gleichermaßen wie das andere, das misshandelte und verblutete Land.

 

Nadia Fasel, 3. Februar 2014

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